Editorial 2018: Künstlerische Forschung im Kontext des Musiktheaters

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Dominik Frank

Abstract

Liebe Leserinnen und Leser,


Künstlerische Forschung im Kontext des Musiktheaters steht als Titel über dieser Ausgabe von ACT, der Online-Zeitschrift unseres Instituts. Während der Begriff des Musiktheaters in den letzten Jahrzehnten eine enorme Öffnung erfahren hat – weg von der Einschränkung auf Oper und Operette hin zu populären Formen wie Musical und Casting-Show sowie zu Karneval, Fußball-WM und ,Every-Day-Performance‘ – harrt der Begriff der Künstlerischen Forschung noch einer konsensfähigen Definition. Schon allein die Frage nach der Bezeichnung des methodischen Vorhabens wirft Fragen auf: Was ist der treffendste Terminus? Im englischen Sprachraum, in dem die Methodik bereits deutlich verbreiteter ist, kursieren folgende Begriffe: Artistic Research? Practice-as-resarch? Practice-based-research? Performance-led-Research? Wir haben uns für eine Arbeitsdefinition entschieden und betiteln unser Vorhaben ,Artistic Research‘, im Deutschen: ,Künstlerische Forschung‘. Dies impliziert, dass am Ende einer solchen Künstlerischen Forschung zwei Ergebnisse stehen: ein künstlerisches ,Produkt‘ (wir vermeiden bewusst den irreführenden und ideologisch aufgeladenen Begriff ,Werk‘) sowie wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn, der – und dies scheint uns in der gegenwärtigen Diskussion wichtig zu betonen – nicht nur immateriell, als ,begriffsloses Wissen‘ existiert, sondern durchaus und ganz konkret materialisiert werden kann – sei es als Text oder multimediale Veröffentlichung.


Die fünf Beiträge in dieser Ausgabe von ACT sind solche Materialisierungen von wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn, welcher aus künstlerischen Projekten hervorgegangen ist.


Maren Butte behandelt in ihrem Artikel die Grundlagen der Künstlerischen Forschung, mithin das spannungsgeladene Verhältnis von Theorie und Praxis, bevor sie diese im Interview mit dem Komponisten Daniel Kötter, einem der Macher der Musiktheaterperformance LIEBE. Ökonomien des Handelns 3, am praktischen Beispiel reflektiert. Die Performance, so Butte, „schreibt keine Dichotomien fest, sondern schafft ein Wechselspiel von begrifflichen und unbegrifflichen Artikulationsformen“. Mit Blick auf die besonderen Zeitformen, welche nur das Musiktheater schaffen kann, wird Liebe in der besprochenen Aufführung neu gedacht, „nicht als heteronormatives Paarkonzept, sondern als transindividuelles bindendes Phänomen der Begegnung und des Teilens als gesellschaftlicher Utopie“, wie es im Artikel heißt.


Samuel Penderbayne reflektiert den Entstehungsprozess seiner Oper I.th.Ak.A bis hin zur Uraufführung an der Staatsoper Hamburg, macht somit intuitive künstlerische Ideen kognitiv nachvollziehbar und beschreibbar. Im Zentrum der Oper steht das Verfahren des cross-Genre, also das Sampling moderner klassischer Musik mit Elementen der Popularmusik. Helmut Krausser lieferte dafür das Libretto, welches Homers Odyssee mit dem ,Dark Net‘, dem kriminellen und verborgenen Teil des Internets, kurzschließt. Penderbayne zeichnet die Diskussionen mit Librettist, Mentor und Regieteam nach und macht so deutlich und für die Forschung nachvollziehbar, welche künstlerischen Entscheidungen aus welchen Gründen und Überlegungen resultieren – bis hin zum völlig geänderten Finale der Oper.


Auch im Werk von Heiner Goebbels spielt das Prinzip des Sampling eine entscheidende Rolle. Elisabeth van Treeck untersucht in ihrem Beitrag, wie Goebbels die Grenzen der Musik ausschöpft, inspiriert von der DJ-Kultur, den Futuristen, Dadaisten und Dechamps, dem Erfinder des Ready made. Somit wird auch die Position des Komponisten in Frage gestellt, der sich vom originären Erfinder zum Collageur und Re-Inszenator wandelt. Bei Goebbels geht das Sampling über die reine Musik hinaus, auch im Szenischen wird dieses Prinzip aus der Disco-Kultur verwendet, wie van Treeck am Beispiel der Inszenierung/des ,Werks‘ Stifters Dinge zeigt: Der Hauptprotagonist, eine bühnenfüllende Maschine, ,komponiert mit‘.


Ebenfalls mit politischen Implikationen beschäftigt sich Mauricio Carrasco, der als Gitarrist und Performer an der Uraufführung der BUG Trilogy des Komponisten Arturo Corrales maßgeblich beteiligt war. Beschrieben wird der kollaborative Entstehungsprozess einer Musiktheater-Performance. Hauptthema ist die ,männliche Hysterie‘, welche, so die These des Autors, vor allem in der Form des Monodramas bühnentauglich gemacht werden kann, da dieses dem Publikum die Co-Erfahrung der psychischen Disposition des Protagonisten ermögliche. Die Form der Performance erinnert aber auch an technisch unperfekte, widerständische Singer/Songwriter-Konzerte in der chilenischen Diktatur und macht so die Zusammenhänge zwischen individueller psychischer Disposition und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sicht- und spürbar.


Mit solchen Adorno‘schen ,gesellschaftlichen Verblendungszusammenhängen‘ operiert auch die Musiktheater-Performance Muschigenuschel von Julia Fleiner. In ihrer Performance mit Filmen, (Live-)Musik und performativen Installationen untersucht sie die Prägung des Weiblichkeitskonzeptes in einer patriarchal strukturierten Welt und lädt die Zuschauer*innen unter anderem ein, Zeuge und Akteur des sogenannten Fruit Fingerings zu werden. Der hier vorliegende Beitrag stellt nicht die Musiktheaterperformance im Ganzen vor, sondern reflektiert als Mikrostudie die Reaktionen der Zuschauer*innen sowie die Introspektion einer Performerin und macht so die von Fleiner herausgearbeitete Leerstelle weibliche Sexualität‘ sichtbar.


Die vorliegende Ausgabe versammelt also ganz verschiedene Perspektiven auf Künstlerische Forschung: Die des Komponisten Samuel Penderbayne, welcher sein eigenes Werk reflektiert; die der Wissenschaftlerin Elisabeth van Treeck, die sich ,klassisch‘ den Performances und Kompositionen von Heiner Goebbels widmet; die des Performers Mauricio Carrasco, welcher kollaborativ an der Komposition eines anderen mitwirkt und diese Arbeit reflektiert; Wissenschaft und Kunst im Gespräch zwischen Maren Butte und Daniel Kötter, sowie die kombinierte Perspektive einer Autorin-Performerin im Beitrag von Julia Fleiner. Deutlich wird, wie vielfältig und damit oft un-eindeutig der Begriff Künstlerische Forschung verwendet wird – zukünftige Forschungsprojekte werden hier daran arbeiten müssen, dieses Desiderat zu füllen.


Unser großer Dank gilt allen Autor*innen sowie den Kolleg*innen, die im Peer-Review-Verfahren an dieser Ausgabe mitgewirkt haben.


Dank gilt außerdem unserer Kollegin Jasmin Goll, die diese Ausgabe von ACT in der Endredaktion maßgeblich unterstützt hat.


 


Wir wünschen Ihnen spannende und gute Lektüre!


Anno Mungen und Dominik Frank

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Autor/innen-Biografie

Dominik Frank

Dominik Frank war von 2013-2016 Teil des Forschungsprojekts zur Geschichte der Bayerischen Staatsoper 1933-1963 und ist seit Dezember 2016 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Musiktheater Thurnau. Daneben arbeitet er als Regisseur, Theaterpädagoge und Referent an der KZ-Gedenkstätte Dachau. (Stand 2018)